Krieg. Wir müssen reden

Okt 2023. Es ist Krieg in Europa. Es herrscht Krieg im Nahen Osten. Gemäss dem Heidelberger Institut für Konfliktforschung herrschen derzeit auf der Welt 20 (!) Kriege und 20 sogenannte limited wars. Die weit über 200 weiteren Konflikte und Krisen, die häufig zu Kriegen führen, kommen noch dazu. Was macht das mit uns Menschen? Menschen, die gleichzeitig mit einer veritablen Klimakrise und einer nie dagewesenen Transformation in ein digitales Zeitalter gefordert sind.

Reden wir über die Kriege? Über Mord, Vergewaltigungen, Geiselnahmen, über den Tod? Über Geschichte, Gründe, Hintergründe? Oder tun wir so, als fände dies nicht statt, tauschen uns über den letzten Urlaub oder die bevorstehenden Weihnachtsferien aus? Geben wir den Konflikten und Kriegen dieser Welt Einlass in unser Herz und unseren Verstand oder verschliessen wir beides zu unserer eigenen (auch emotionalen) Sicherheit?

Wir müssen reden. Darüber. Zuhause. Im Büro. Bei Freunden. Am Stammtisch. Wir brauchen eine faire Gesprächskultur, die im Kleinen beginnt. Denn das Drama des Krieges hat sich ohnehin bereits in unsere Köpfe gefressen. Es ist ein Thema, das viele berührt. Ein schwelendes, das bisweilen unter die Haut geht und genau dort eben nicht so schnell erkannt oder benannt werden kann. Dabei ist es ein Urbedürfnis des Menschen, sich auszutauschen, Fragen zu stellen, Wissen zu teilen und eigene Befindlichkeiten zu den Ereignissen formulieren zu können, ohne dafür beurteilt zu werden. Viele Menschen sind verunsichert, manche gar verängstigt. Nur wenige scheinbar unberührt.

Also müssen wir reden. Im geschützten Raum. Wir müssen lernen, damit umzugehen und auch, uns dazu urteilsfrei zu äussern – fähig werden, Worte zu finden. Nicht die richtigen oder die falschen. Worte, die uns helfen, die Situation zu erfassen, zu verstehen.

Treten wir mit vorgefasster Meinung in einen Dialog, stirbt dieser, bevor er beginnen konnte. Wie stehst du dazu? Bist du für die eine oder andere Seite? Diese Forderung nach einem Urteil, einer Meinung, ja Haltung schwächt den Dialog. Durch sie entstehen Fronten im Kopf, über die man nicht mehr diskutieren kann und die schlussendlich zum Schweigen führen.

Die Corona-Pandemie hat uns gelehrt, was in der Kommunikation alles schieflaufen kann. Wir haben das Problem nicht mehr als gemeinsames gesehen. Die Pandemie wurde rasch ein Ventil für vieles, das schon früher nicht ausgesprochen wurde und sich nun Weg bahnte. Meinungen waren bereits gemacht und bisweilen so festgefahren, dass gar keine sachliche Diskussion mehr möglich war. Schwestern sprachen nicht mehr mit ihren Brüdern, beste Freunde wurden zu Feinden, Kolleginnen und Kollegen mieden sich im Büro. Im Sturm der Ereignisse überschlugen sich politische Entscheide ebenso wie die Headlines in den Medien. Und die Menschen zu Hause machten sprichwörtlich dicht. Sie gingen aufeinander los oder sprachen nie wieder miteinander. Für die meisten ist dies eine sehr schmerzvolle Erfahrung und der Weg zurück schwierig. Irgendwann wissen die Menschen nicht einmal mehr, warum sie einst aufgehört haben, miteinander zu reden. Wie ist das erst in einem Krieg?

Deswegen ist es so wichtig, in den kleinsten Zellen unserer Gesellschaft – den Partnerschaften, den Familien, den Kaffeerunden im Team, am Stammtisch – zu reden. Zusammentragen, Wissen teilen, gemeinsam einordnen. Ohne Urteil, ohne Fronten. Dafür respektvoll.

Konflikte wird es immer geben. Und solange wir offen und ohne eine Doktrin der Meinungsbildung miteinander reden, bleiben sie kalte Konflikte, die aufgelöst werden können. Erst wenn wir keine Worte mehr finden und Fronten sich bilden, drohen sich Konflikte zu erhitzen und führen zum Krieg. Und Kriege werden anderslautenden Aussagen zum Trotz niemals gewonnen.